Thematische Veröffentlichungen zu kirchlichen Fragen
„Neues“ Hauptamt
„Übung im Rollenwechsel“
Von Dr. Stefan Koch
Das alte Ehrenamt lebt von der andauernden Bereitschaft von Menschen, in der Gemeinde und der Einrichtung mitzuhelfen, wo Hilfe gebraucht wird. Schnell wurde daraus oft eine Brücke in weitere Tätigkeiten, weil frau und man ja „eh da“ ist. Im neuen Ehrenamt wirken Menschen, von einer bestimmten Arbeit von Herzen überzeugt, auf bestimmte Zeit mit, haben dafür ein konkretes Interesse, sind klar auf die Projekte und deren Laufzeit bezogen.
1 Übung im Rollenwechsel: der „Raum der Stühle“
In der Mitte des Übungsraumes stehen ein paar freie Stühle. Unter der Sitzfläche finden sich Markierungen, auf denen „meine Rolle“ steht. In meiner Herkunftsfamilie hatte ich meinen festen Platz am Esstisch, im Büro habe ich meinen Schreibtischstuhl, daheim mein ledernes Lieblingssofa. Im Besprechungszimmer im Pfarramt nehme ich als Dauervertretung einer dritten Stelle Platz, in der Berufsschule sitze ich anfangs hinter dem Lehrerpult, während der Morgenandacht im Altenheim steht ein Stuhl neben dem Klavier.
Ich stelle mir vor, dass ich in dem Raum mit den Stühlen eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen habe. Wenn ich auf dem „Pfarrer“-Stuhl Platz genommen habe, kommen meine Beiträge aus dieser Rolle. Andere Stühle beschreiben andere Rollen, etwa „Kollege der anderen Pfarrerin und des anderen Pfarrers“, „Seelsorger“ einer anwesenden Person, „Freund“ einer Anderen, „Fachmann“ für ein Thema. Je nach Rolle werde ich nicht nur in Nuancen anders reden und anders gehört werden.
Mit dem Wechsel von der dekanatlichen auf die landeskirchliche und nun wieder auf die gemeindliche Ebene habe ich mehrfache Rollenwechsel vollzogen, die ich erst allmählich verstanden habe, hin zu einem „neuen“ Hauptamtlichen, der anders arbeitet als früher. Freilich habe ich in meiner beruflichen Praxis in der Gemeinde auch weiterhin mit Menschen zu tun, die traditionell engagiert sind, in mir den Pfarrer alten Schlages sehen.
2 Rollenwechsel als Körperarbeit
In meiner Ausbildung konnte ich eine Methode erproben, die beim Rollenwechsel hilft. Sie ist anwendbar, wenn ich eine Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln erzähle, wie sie in neutestamentlichen Heilungserzählungen vorkommen. Da finden sich die Jünger, die Zuhörer, ein oder eine Kranke, Dämonen, Pharisäer und Schriftgelehrte, die Menge und Jesus. Ich stelle so viele Stühle auf, wie die Geschichte Rollen enthält. Wenn ich die Rolle wechsle, gewinnt mein Verständnis der Geschichte an Ausdruck. Der eigene Atem, eine deutliche Körperhaltung und die eigene Stimme ändern sich.
Um Rollenwechsel auch emotional hinzubekommen, stelle ich mich in einer typischen Körperhaltung hin und beginne zu agieren. Dann mache ich bewusst einen Schritt zur Seite, schlüpfe dabei in eine andere Körperhaltung – und fahre inhaltlich fort, wo ich unterbrochen hatte. Je deutlicher sich die Haltungen unterscheiden, desto besser lässt sich die Rolle einfärben. Je geringer die Unterschiede, desto mehr kommt es auf Feinheit an.
3 Beobachtungen eines ehren- und hauptamtlichen Kirchenvorstands
Der Raum der Stühle hilft mir auch, mich in meinen kirchlichen Ehren- und Hauptämtern zu betrachten. Als Ehrenamtlicher in meiner Münchener Wohngemeinde bin ich in den Kirchenvorstand gewählt worden. Als Hauptamtlicher in meiner Starnberger Dienstgemeinde bin ich qua Amt Mitglied im Kirchenvorstand. Ich habe also den (sonst ja eher seltenen) direkten Vergleich, den ich nun auch spielerisch bewerten kann. Beide Rollen fülle ich natürlich unterschiedlich aus. Aber es gibt auch Schnittmengen, zwischen den Stühlen sozusagen.
Im Ehrenamt als gewählter Kirchenvorsteher lasse ich die Pfarrer und Pfarrerinnen den Rahmen gestalten, höre sie mich begrüßen und mir für mein Engagement danken. Als neuer Ehrenamtlicher denke ich mir dann: Wenn wir jetzt auch gemeinsam umsetzen (und ihr das eure dazu tut), was wir miteinander beschlossen haben, ist mir das schon Dank genug. Ansonsten gilt bei uns, was die Vertrauensperson in unserem Namen sagt, dafür haben wir sie gewählt. Im Hauptamt des berufenen Kirchenvorstehers bereite ich die Sitzung mit den Kollegen vor. Wir planen gemeinsam, was wir beraten und gegebenenfalls beschließen wollen. Zugleich weiß ich, dass der Kirchenvorstand genau darauf schauen wird, ob wir Hauptamtlichen am gleichen Strang ziehen. Zur Not benenne ich interne Konflikte nur indirekt und warte auf die nächste Dienstbesprechung, um die unter uns strittigen Sachverhalte zu klären. Vermutlich wirken wir auf unsren Kirchenvorstand deshalb ganz gut abgesprochen – und das wollen wir auch sein.
Für mich als Ehrenamtlichem sind manche Themen der Sitzung weit weg. Und die Pfarrer reden oft lange über diese Themen. Da kommen ihre Lieblingsprojekte zum Vorschein, und ich denke: mach es so, wenn es dir wichtig ist. Ein Gesamtkonzept der gemeindlichen Arbeit ist nicht meine größte Leidenschaft. Zudem weiß ich, wir müssen den Haushalt beschließen, halte persönlich aber die Jahresrechnung für aussagekräftiger im Blick auf die Tätigkeit der Gemeinde. Und weite Bereiche des Gemeindelebens müssten mich zwar interessieren, ich habe aber kein schlechtes Gewissen, wenn ich davon wenig weiß. Zur Not frage ich eben in der Sitzung nach und lasse mir die Dinge erklären. Als Hauptamtlicher versuche ich, das Ganze der Arbeit in der Gemeinde im Blick zu haben, in meiner Dienstordnung steht ausdrücklich, dass uns Pfarrern die ganze Gemeinde am Herzen liegen soll. Und deshalb verwundert es mich, dass wir manchmal im Gremium nicht länger hin- und her diskutieren, sondern oft die Hauptamtlichen viel mehr reden als die Ehrenamtlichen.
Als Ehrenamtlicher bin ich nicht so sehr wie die Hauptamtlichen daran interessiert, nach der Sitzung noch zusammenzustehen und über Gott und die Welt zu reden. Ich hatte einen langen Arbeitstag und noch die Fahrt nach Hause vor mir. Deshalb bin ich froh, wenn wir vor 22 Uhr fertig sind und ich loskann. Wünsche auf Sitzungsverlängerung machen mich eher unwillig, als dass sie mich verständnisvoll finden. Als Hauptamtlicher will ich schaffen, was wir uns
vorgenommen haben, damit wir im Team der Hauptamtlichen weitermachen können. Aber ich bin auch froh, wenn es nicht zu lange in die Nacht hinein geht, am nächsten Tag muss ich früh in die Schule … Als H
4 Ein denkbarer Transfer auch für „alte“ und „neue“ Hauptamtliche?
Auch der Rollenwechsel im Blick auf die Aufgaben der „alten“ oder „neuen“ Hauptamtlichen lässt sich im Raum der Stühle trainieren. Hier wird es noch mehr um die Feinheit des Ausdrucks gehen, weil ich als „alter“ Hauptamtlicher ja nicht anders dastehe als in der Rolle des
„neuen“. Um auch diesen Wechsel intensiv zu üben, ist es aus meiner Erfahrung erneut hilfreich, einem fiktiven Gegenüber eine Geschichte zu erzählen.
Voraussetzung für diese ganzen Überlegungen ist meine Erfahrung, dass eben auch der Wechsel der Rolle vom „alten“ zum „neuen“ Hauptamt erspürt und körperlich erlebt werden kann. Analog zu den soziographisch beschreibbaren, veränderten Rollen von Ehrenamtlichen findet nach meiner Einschätzung derzeit ein entsprechender Rollenwechsel bei den Hauptamtlichen statt, der leider allzu oft nur – wenn überhaupt – bedacht und selten konkret durchgespielt wird.
4.1 Das Siegespodium des Ermöglichens
Die mit dem „neuen“ Hauptamt verbundenen Emotionen kann ich – ich verallgemeinere persönliche Erfahrungen – so benennen: ich habe Freude daran, dass Menschen ihr Ziel erreichen, ich bin ein „Ermöglicher“ (Backstage-Manager finde ich als Bezeichnung zu spröde). Bei meinem Tun habe ich im Lauf der Zeit einige bronzene (oft genug), silberne (öfter bis meistens) und goldene (immer) Regeln des Ermöglichens gefunden:
Immer vertraue ich den Prozessen, die ich angestoßen habe und begleite, ich habe nie auch schon einen Plan B in der Tasche. Meistens suche ich eine Lösung, die möglichst im System bleibt, vermeide so lange den externen Input, wie es geht – auch dann, wenn Entwicklungen erst einmal stocken. Immer bin ich darauf gepolt, achtsam mit den Menschen umzugehen – und dabei erlebe ich oft genug, dass gerade in Widerständen viel Entwicklungspotenzial steckt, auch wenn wir gemeinsam erst noch die eine oder andere Meile gehen müssten, um hinzukommen. Immer und zu jeder Zeit versuche ich, mir einen Freiraum dafür zu schaffen, dass Gefühle – vor allem Bauchgefühle – Raum haben, bevor es in die entscheidende Runde geht. Meistens kann ich aufgrund meiner Schwerpunktsetzung meine Besuche in der Gemeinde so einteilen, dass sie so lange dauern, wie auch die Besuchten das für schön (oft eher länger als kürzer) und gut halten. Oft genug versuche ich (anfangs gegen eigene Widerstände), mein momentanes Nichtwissen (positiv gesagt: meine Neugier) zuzulassen: gute Lösungen sind manchmal scheue Rehe, manchmal neugierige Kühe. Oft genug strebe ich mittlerweile danach, mich in den Prozessabläufen zu entschleunigen, denn ich muss nicht auf alles immer sofort eine Antwort haben, wenn wir gemeinsam überlegen.
4.2 Auch das Hauptamt neu durchspielen
Die genannten Regeln am Siegespodest des Ermöglichens sind keine zu hohen Messlatten. Wer mag, ordne sie unter der Überschrift Prozessqualität ein, die für das „neue“, wie für das „alte“ Hauptamt taugt. Viele gehören für Menschen mit Gespür für Entwicklungen schon heute zum guten Ton.
Umso einfacher dürfte es sein, als Hauptamtlicher folgende Spielanleitungen auszuprobieren: den Hintergrund zu schätzen wissen, eher zuarbeiten, als die Lösung präsentieren; eine sehr gute Sitzungsvorbereitung pflegen, die aber nur bis zur Halbzeit plant und danach die Richtungen offenhält, in die es nun noch gehen kann; Zeit für die Ergebnisreflexion einbauen, um das miteinander Erreichte auch tatsächlich als Gemeinsamkeit zu sehen; alle möglichen Mitspielerinnen und Mitspieler (es ist immer das eigene Team, das ich trainiere) frühestmöglich einbinden und gerade von denen etwas erwarten, von denen ich beim letzten Mal eigentlich mehr erwartet hätte.
Am besten gelingt mir persönlich das Ermöglichen, wo ich kein Stimmrecht in einem Gremium und nur begrenzte Redeanteile in der Sitzung habe, wo ich im Team (möglichst verschiedener Berufsgruppen) arbeite, wo ich mit anderen gemeinsam Treffen vorbereite, wo ich für den Prozess sorge und andere im Scheinwerferlicht des inhaltlichen Ergebnisses stehen. Eine solche Haltung ist keine Demutsübung, sondern Ergebnis praktischer Erfahrung in gelingender Zusammenarbeit. Auf diese Art habe ich nicht weniger zu sagen – aber anders, weniger druckreif. Ich agiere nicht weniger machtvoll – aber anders, mehr an Wirkung als an Durchsetzung interessiert. Womöglich bin ich heute übrigens sogar erfolgreicher als früher, weil sich meine Rolle auf wichtigere Themen erstreckt: die Arbeit mit den Menschen.
Auch hier kann der Eindruck entstehen, man sei unersetzlich und müsse überall mittun. Die Kunst der richtigen Entscheidung für die richtigen Arbeitsschwerpunkte ist auch hier dringend nötig. Und die Fähigkeit, Dinge nicht selbst zu tun und sie mit Freude anderen gut gelingen zu sehen, ebenso. Aber auch wenn am Ende selten mein Name draufsteht, ich weiß am Ende des Tages gut genug, was mein Beitrag am Erreichten ist. Die Rolle als „neuer“ Hauptamtlicher wird von den Menschen, mit denen ich arbeite, sehr wertgeschätzt. Sie verhilft mir auch in der Runde der Hauptamtlichen zu einem entspannteren Arbeiten als früher. So zu arbeiten ist
nicht weniger lustvoll und befriedigend, als es das Tun und Schaffen als Wortführer und Macher für mich gewesen ist. Freilich ist sie stärker als die des „alten“ Hauptamtes auf die Gegenwart bezogen. Sie wirkt nach, aber verbindet sich weniger stark mit der konkreten Person, die länger im Gedächtnis bleibt.
Literatur:
Stuhlmiller, Michael, mit Oliver Bachmann (2016): Die Kunst des spielerischen Scheiterns. Wahres Selbstvertrauen gewinnen mit der Clownmethode, München.