Teresa von Ávila spanische Mystik von damals für heute
Heute gelesen: Texte und Anregungen in der Zeit des Wartens
Nach Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King jr. kommt nun endlich die Frau zu Wort, deren Schriften(1*) sie zu einer der bedeutendsten Mystikerinnen des Christentums machen – in der Hoffnung, durch diese Texte Menschen einen Zugang zum inneren Weg der Gottessuche und des Gebetes zu eröffnen. Dieser Weg kann auch heute Menschen anleiten, in sich selbst nicht nur die Ruhelosigkeit des eigenen Herzens zu entdecken, sondern Leidenschaft, Hingabe und Spiritualität miteinander zu verknüpfen. Insofern ist Teresa trotz ihrer Instrumentalisierung in der Zeit der katholischen Reform bzw. Gegenreformation auch für die evangelische Kirche eine „Kirchenlehrerin“, als welche sie seit 1970 in der römisch-katholischen Kirche betrachtet und verehrt wird.
Dr. Stefan Koch
Teresa von Ávila – Teil 1
Nada te turbe – „Nichts soll dich verwirren“ 1*)
Die überlieferten Gedichte von Teresa von Ávila (1515-1582, seit 1562 „Teresa de Jesus“) werden in der Forschung heute in die Gruppen lyrisch-mystische Gedichte, Gelegenheitsgedichte und Gedichte für Ordensfeste unterteilt. Sie stammen alle aus der Zeit ab 1560, leider ist keine Originalhandschrift erhalten. Formal sind es eher „Lieder für den Hausgebrauch“ (spanisch: „coplas“) in der Tradition mündlich überlieferter, singbarer Alltagslyrik, wie Teresa sie vermutlich aus der Ritterromanliteratur kannte und in religiöse Kategorien umschrieb.
Der Text „Nada te turbe“ 2*), früh auch in deutscher Übertragung veröffentlicht 3*), gehört zu den am häufigsten zitierten Texten Teresas aus dem Bereich der mystischen Gedichte. Diverse Vertonungen finden in den letzten Jahren ihren Platz auch im kirchlichen Gesang. Tatsächlich ist diese Zuschreibung mittlerweile nicht mehr unumstritten, als möglicher Autor wird auch Johannes vom Kreuz genannt.
Nada te turbe, | Nichts soll dich verwirren, |
nada te espante, | nichts dich erschrecken. |
todo se pasa, | Alles vergeht, |
Dios no se muda. | Gott ändert ich nicht. |
La paciencia | Die Geduld |
todo lo alcanza. | erlangt alles. |
Quien a Dios tiene, | Wer Gott hat, |
nada le falta. | dem fehlt nichts. |
Sólo Dios basta. | Gott nur genügt. |
Hinweise und Fragen
Da die spanische Inquisition nur die Verwendung der lateinischen Bibel, der Vulgata, erlaubte, stand Teresa keine spanische Gesamtausgabe der Heiligen Schrift zur Verfügung. Dennoch sind die Anklänge an Paulus und Jesaja im Gedicht inhaltlich recht deutlich. Lesen Sie nach, wie Paulus die Glaubensgewissheit in Römer 8,31-39 ausformuliert und wie der Prophet Deuterojesaja in Jesaja 40,6-8 die Vergänglichkeit der Welt im Bild von der verwelkenden Blume mit der Ewigkeit von Gottes Wort kontrastiert.
Als ihrem eigentlichen Auftrag kommt es Teresa darauf an, stellvertretend christlich zu leben. Diesen Auftrag vollzieht sie besonders intensiv im Gebet als einem Umgang und Gespräch „mit dem Freund“, als den sie Jesus erkannt hat und für sich reklamiert. Auch „Nada te turbe“ lässt sich als Anrede Christi in der dritten Person an Teresa deuten – und als Anrede, mir klar zu machen, welchem „nada“ heute meine verstärkte Aufmerksamkeit gilt …
Das „basta“ vom Schluss des Gedichts, womöglich etwas missverständlich durch die Vokabel „genügt“ übersetzt, wird modern gerne als zuspitzende Ausschließlichkeitsanforderung bei Te-resa gedeutet. Tatsächlich geht es eher darum, von Gott die Erfüllung des Lebens insgesamt zu erwarten, während andere Anreize und Viktualien eher eine teilweise Erfüllung schenken.
1*) Als Textgrundlage dient der dritte Band der Gesammelten Werke von Teresa von Ávila, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften. Vollständige Neuübertragung, herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD, Freiburg, Basel, Wien 2004.
2*) Spanisch und deutsch in: Teresa von Ávila, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften, S. 344.
3*) Lyrische deutsche Übertragung von Erika Lorenz, in: Teresa von Ávila, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften, S. 344: „Nichts soll dich verwirren, Nichts soll dich beirren, alles vergeht. Gott wird sich stets gleichen. Geduld kann erreichen, Was nicht verweht. Wer Gott kann erwählen, Nichts wird solchem fehlen: Gott nur besteht.“
Teresa von Ávila – Teil 2
Teresa Sánches de Cepeda y Ahumada (1515 bis 1582), das fünfte von elf Kindern und die älteste Tochter ihrer Eltern stammte väterlicherseits aus einer jüdischen Familie aus Toledo, die zwangsweise zum Katholizismus konvertieren musste, und mütterlicherseits aus altem kastili-schen Adel. In jungen Jahren wechselten sich Internats- und Klosterzeiten mit Krankheits- und Angstphasen ab. Nächtliche Visionen erschütterten sie immer wieder, erst mit knapp vierzig Jah-ren fand sie zu innerer Sicherheit, die sie dann auch weitergeben wollte. Als Theologin und Or-densreformerin war sie wegen ihrer Schriften mehrfach vor der Inquisition, ihre Autobiographie – die erste in spanischer Sprache – blieb deshalb lange unter Verschluss. Kirchenreform war für sie Ordensreform, am Ende hatte sie zudem auch noch 17 Neugründungen von Frauenklöstern auf den Weg gebracht und das kontemplative Leben darin literarisch („Weg der Vollkommenheit“ 1562-1566; „Die Wohnungen der inneren Burg“ 1577; „Buch der Klostergründungen“, abge-schlossen 1581) beschrieben. Von besonderer Bedeutung war für Teresa dabei das Gebet „als Umgang und Gespräch mit dem Freund“, zu dem sie insbesondere anregen und anleiten will:
Das erste, was uns seine Majestät über das Gebet lehrt, ist, dass wir in die Stille gehen müssen. Er selbst pflegte in der Einsamkeit zu beten. Wir müssen in die Stille gehen, damit wir verstehen, mit wem wir zusammen sind, und hören, was der Herr auf unsere Bitten antwortet. Oder meint ihr, er schweige, nur weil wir ihn nicht hören! Von Herzen gebeten spricht er zum Herzen. Wir tun gut daran, uns vorzustellen, dass er uns selbst dieses Gebet gegeben hat und dass der Meis-ter sich nie so weit vom Schüler entfernt, dass dieser nach ihm rufen müsse, nein, er bleibt ihm ganz nah. Ich möchte, dass ihr daran denkt, wenn ihr das Vaterunser beten: haltet euch an den Meister, der es euch lehrte.
Camino de Perfección/Weg der Vollkommenheit 24,4 1*)
Hinweise und Fragen
Das Neue Testament berichtet tatsächlich über Jesus, dass er sich immer wieder zum Gebet zu-rückzog und die Einsamkeit suchte. Diese Einsamkeit ist freilich nicht sofort ein Ort der Ruhe und der Stille (Evangelium nach Lukas 9,28-36), sondern auch der Versuchung (Evangelium nach Lukas 4,1-13) und des Ringens mit dem Willen Gottes (Evangelium nach Lukas 22,39-46). Im Gebet dennoch ruhig zu werden, hat auch etwas mit Übung zu tun, um sich die Ruhe mit der Zeit, die man sich dafür gibt, schenken zu lassen. Haben Sie einen festen Ort für diese Ruhe und das Gebet? Könnten Sie sich vorstellen, einen solchen festen Ort zu suchen und zu finden, etwa als Abendgebet vor dem Einschlafen?
Besonders wichtig für den Weg in die Stille ist der gute Umgang und die Aufmerksamkeit für den eigenen Atem. Hören Sie sich einmal einige Minuten beim Atmen zu und probieren sie aus, wie es klingt, wenn Sie sich in dieser Zeit ganz auf das Ausatmen konzentrieren …
Beenden sie ihr Gebet stets mit dem Vaterunser.
1*) Übersetzung bei LORENZ, ERIKA: Der nahe Gott im Wort der spanischen Mystik, Freiburg im Breisgau 1985, S. 150.
Teresa von Ávila – Teil 3
Das biblische Buch „Hoheslied“ in der geistlichen Auslegung der Teresa steht in einer ehrwürdigen Tradition von Schriftinterpretation. Auch im Judentum (konkret etwa bei den Essenern in Qumran, 1. Jahrhundert vor Christi Geburt) wurde die erotische Hochzeitsmetaphorik des Buches allegorisch gedeutet. In der Geschichte der Kirche ragen die entsprechenden Auslegungen der griechischen Kirchenväter und darunter die der sogenannten „großen Kappadozier“ (etwa Gregor von Nyssa, „Homilien zum Hohenlied“, um 390 nach Christi Geburt) hervor. Ab dem europäischen Mittelalter ist das Hohelied das am häufigsten ausgelegte Buch des Alten Testaments und der Bibel insgesamt. Und auch interreligiös ließe sich ein Vergleich zwischen jüdischer, christlicher uns islamischer Interpretation des Buches anstellen – der gemeinsame Ort dieser Interpretationen könnte sogar eben jenes Spanien sein, in dem Teresa von Avila als Klosterreformerin lebte und durch ihre Auslegung den neu gegründeten Frauenkonventen eine eigenständige geistliche Fundierung der Existenz vor Gott zuschrieb.
Drei Interpretationsmodelle sind in der christlichen Tradition geläufig, die sich alle mit berühmten Autoren der Auslegung des Hohenliedes verbinden, Teresa wählt daraus die mittlere:
– die Auslegung mit der Deutung des „Bräutigams“ und der „Braut“ auf Christus bzw. die Kirche seit der Alten Kirche
– die Auslegung mit der Deutung der Seele als „Braut Christi“ seit dem mittelalterlichen Mönchtum
– die zu jeder Zeit der christlichen Auslegungsgeschichte zu findende Interpretation, dass die Jungfrau und Gottesmutter Maria die „Braut“ des Hohenliedes ist
Teresa, die aufgrund des inquisitorischen Verbotes der Bibel in der Landessprache keine vollständige spanische Bibel kannte, dürfte die einzelnen Texte des alttestamentlichen Buches „Hoheslied“ aus der Marienliturgie gekannt haben. Vereinzelt sind Bitten von ihr an Beichtväter oder befreundete Theologen bekannt, in denen sie nach Erklärungen und Übersetzungen fragt. Von besonderer Bedeutung ist für sie gleich der erste Vers des ersten Kapitels des Buches (vgl. unten). Die Erstfassung ihrer Hohenliedauslegung, verfasst unter dem Titel „meine Meditationsgedanken“ (1575), musste Teresa auf Geheiß eines Beichtvaters verbrennen, weil dieser (und nach ihm leider immer wieder andere Männer) fand, eine Frau dürfe nicht über die Heilige Schrift schreiben. Gott sei Dank vorhandene, vorab versteckte Abschriften (vier davon, teilweise aus späterer Zeit, sind bis heute in Madrid erhalten) ermöglichten den Druck und die spätere öffentliche Lektüre der Schrift. Noch in die erste Gesamtausgabe ihrer Schriften (1588) wurde der Text freilich nicht aufgenommen. Im Folgenden werden einige markante Absätze der Auslegung Teresas zitiert. 1*)
Es küsse mich der Herr mit dem Kuss seines Mundes,
denn mehr als der Wein vermögen Deine Brüste … (Hld 1,1)
Es ist mir aufgefallen, dass die Seele [spanisch: alma] hier – nach dem, was der Text hier zu verstehen gibt – anscheinend mit einer Person redet und eine andere um Frieden bittet, denn sie sagt: Er küsse mit dem Kuß seines Mundes. Und dann scheint es, als sagte sie zum dem, mit dem sie zusammen ist: Bekömmlicher sind deine Brüste. Wie das ist, das verstehe ich nicht, und es nicht zu verstehen verschafft mir große Wonne [regalo], denn in der Tat, Töchter, die Seele soll nicht so sehr auf die Dinge schauen, an die wir mit unseren so unzulänglichen Verstandesmitteln scheinbar herankommen können, noch sollen diese sie zum Schauen oder zur Ehrerbietung gegenüber Gott bringen, als vielmehr auf die, die wir überhaupt nicht verstehen können. So empfehle ich euch sehr, beim Lesen eines Buches oder beim Anhören einer Predigt oder beim Nachdenken über die Geheimnisse unseres heiligen Glaubens nicht müde zu werden, noch euer Denken auf das Ausklügeln von dem zu verlegen, was ihr nicht leicht verstehen könnt; es ist nicht für Frauen, und vieles noch nicht einmal für Männer.
Sobald der Herr es zu verstehen geben möchte, tut seine Majestät das ohne unser Bemühen. Das sage ich zu Frauen, aber auch zu den Männern, die die Wahrheit nicht mit ihrer Wissenschaft zu untermauern haben, denn dass diejenigen, die der Herr dafür hat, sie uns zu erläutern, sich darum bemühen müssen und wieviel Nutzen sie daraus ziehen, das versteht sich. Wir aber müssen in Schlichtheit annehmen, was der Herr uns geben sollte, und uns um das, was er uns nicht gibt, erst gar nicht bemühen, Freude empfinden an dem Gedanken, welch großen Gott und Herrn wir haben, da ein Wort von ihm tausend Geheimnisse in sich enthält, und Wir so seinen Urgrund nicht verstehen … 2*)
Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes
… So würden diese Worte an sich, wörtlich genommen, tatsächlich Furcht einflößen, wenn derjenige, der sie sagt, bei sich wäre, doch wen deine Liebe, mein Herr, aus sich herausgeholt hat, dem wirst du es wohl verzeihen, mag er das oder noch mehr sagen, auch wenn es Verwegenheit ist. Denn wenn sie [die Worte der Schrift] Frieden und Freundschaft bedeuten, mein Herr, warum bitten dich dann die Seelen nicht, dass du sie mit ihnen eingehst? Können wir denn um etwas Besseres bitten als um das, worum ich dich bitte, mein Herr, dass du mir diesen Frieden mit dem Kuß seines Mundes gibst? Das, Töchter, ist eine ganz erhabene Bitte, wie ich euch später noch sagen werde. 3*)
… Also, Töchter, der Herr führt auf vielen Wegen. Doch seid immer auf der Hut … wenn ihr wegen eines Fehlers, den ihr begeht, keinen Schmerz empfinden solltet. Bei einer Sünde, und sei es einer lässlichen, ist es schon klar, dass sie euch in die Seele dringen muss, wie ich glaube und sehe – zu Gottes Ehre sei’s gesagt -, dass es euch jetzt schon leid tut. Das aber merkt euch und denkt aus Liebe zu mir daran: Wird ein Mensch, solange er lebt, eine Stecknadel oder einen kleinen Dorn, so klein er auch sei, etwa nicht spüren, wenn man ihn damit sticht? Wenn die Seele also nicht tot ist, sondern eine lebendige Liebe zu Gott hat, ist es dann keine große Gnade für sie, die kleinste Verfehlung zu spüren, die sie gegen das begeht, worauf wir Profess abgelegt haben und wozu wir verpflichtet sind? O, das ist eine Zubereitung eines Bettes aus Rosen und Blumen in der Seele durch Seine Majestät für sich selbst, wem sie dieses feine Gespür gibt, wo es dann unmöglich ist, dass sie es versäumt zu kommen, um sich an der Seele zu erfreuen, wenn auch erst zu später Stunde!
Mein Gott! Was tun wir Ordensleute in den Klöstern? Wozu verlassen wir die Welt? Wozu kommen wir hierher? Können wir uns denn für etwas Besseres einsetzen als unserem Bräutigam in unseren Seelen Gemächer zu bereiten und rechtzeitig anzukommen, um ihm sagen zu können, dass er uns mit seinem Mund einen Kuß gebe! Glückselig ist diejenige, die diese Bitte vorbringt, damit er ihre Lampe nicht erloschen antrifft, wenn er kommt. Und sich vom Rufen ermüdet abwendet [Mt 25,1-13]. Meine Töchter, welch hohen Stand haben wir doch, denn außer uns selbst kann uns niemand verbieten, dieses Wort zu unserem Bräutigam zu sagen, denn als wir Profess machten, haben wir ihn als solchen angenommen! 4*)
… Deshalb sage ich es wieder, dass ihr euch bei solchen Dingen, wenn euch der Herr die Gnade erweisen sollte, dass es sich anbietet, diese für ihn zu tun, nichts daraus machen sollt, dass ihr Sünderinnen gewesen seid. Hier muss der Glaube souverän über unserer Armseligkeit stehen, und ihr solltet nicht verwundert sein, wenn ihr zu Beginn eurer Entschlossenheit und auch später noch Angst und Schwäche verspüren solltet; gebt nichts darauf, es sei denn, um euch noch mehr zu beflügeln, lasst euren eingefleischten Egoismus sein Amt verrichten. Schaut, dass der gute Jesus beim Gebet im Garten sagte: „Das Fleisch ist schwach“ (Mt 26,38) und denkt an seinen wunderbaren und schmerzvollen Schweiß – Wenn jenes Fleisch Gottes, das zudem ohne Sünde ist, nach den Worten seiner Majestät krank ist, wie wollen wir dann, dass unseres so stark ist, dass es die Verfolgung nicht spüren sollte, die ihm von den Prüfungen her zukommt? Wenn es ihnen ausgesetzt ist, wird das Fleisch dem Geist bereits unterworfen sein. Ist sein Wille mit dem Willen Gottes verbunden, beklagt es sich nicht mehr. 5*)
Hinweise und Fragen
Mit ihrer Auslegung integriert Teresa die biblische Metapher von „Braut“ und „Bräutigam“ in ihre Frömmigkeit, vorher findet sie in Teresas Schriften kaum Erwähnung. Was leistet diese Metaphorik aus Ihrer Sicht?
Teresa will – in allen Schriften – Hilfestellung zum Gebet geben. In aller mystischen Erfahrung tendiert sie dazu, immer wieder zu Bodenständigkeit und Nüchternheit zu mahnen; und dazu, die eigenen Begrenzungen und Defizite vor Gott nicht für entscheidend zu halten; eine interessante Variante zum zerstörerischen Perfektionismus des Mönches Martin Luther, der in der Klosterexistenz nur einen Weg des Scheiterns an Gottes Ansprüchen zu erkennen vermochte.
So ernst Teresa die Gottheit Jesu immer nimmt, fasziniert war sie vom Menschen Jesus und wirkt darin erstaunlich modern. Insbesondere die biblischen Texte, die von Jesu Leiden sprechen helfen ihr, die eigene Existenz zu reflektieren. Hier wirkt gewiss die weit verbreitete mittelalterliche Idee der „Nachahmung Christi“ (Thomas von Kempen) weiter, die freilich zu einer Art „Nachahmung Jesu“ wird.
1*) Der gesamte Text in deutscher Fassung findet sich in TERESA VON AVILA, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften, Vollständige Neuübertragung. Gesammelte Werke Band 3, herausgegeben von Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD, Freiburg, Basel, Wien, 2004, S. 54-127.
2*) TERESA VON AVILA, Gedanken zum Hohenlied, S. 57f.
3*) TERESA VON AVILA, Gedanken zum Hohenlied, S. 66.
4*) TERESA VON AVILA, Gedanken zum Hohenlied, S. 70f.
5*) TERESA VON AVILA, Gedanken zum Hohenlied, S. 94f.
Teresa von Ávila – Teil 4
Von den vielen verschiedenen Texten, die Terese von Ávila hinterlassen hat, sind die „geistlichen Erfahrungsberichte“ vermutlich die eigenwilligten. In diesen mitunter recht kurzen autobiographischen Notizen versucht sie, die Inhalte ihrer Visionen – die sie nach ihrem spirituellen und visionären „Durchbruch“ im Jahr 1554 als Gotteserfahrungen deutet, während ihre Umgebung eher dämonische Einflüsse fürchtete – möglichst getreu an andere zu vermitteln. Sie unternimmt diesen Versuch, weil sie zweimal durch einen angeblichen göttlichen Auftrag im Traum dazu aufgefordert wurde. Zu-nächst (1563/64) notiert Terese die einzelnen Erfahrungen für ihre Beichtväter, die ihr einen „guten Geist“ bescheinigten. Danach entstand eine Art Loseblattsammlung (1565-1571) bzw. ein kleines Heftchen (1571). Im Kontext ihrer Anzeige vor der Inquisition in Sevilla (1575) entstehen wieder längere Erfahrungsberichte, die zu ihrem Freispruch (1576) führen. Der letzte der 66 erhaltenen Erfahrungsberichte entsteht in ihrem vorletzten Lebensjahr (1581) 1*).
Als ich einige Tage nach dem, was ich gerade 2*) sagte, darüber nachdachte, ob die wohl Recht haben, denen es schlecht erscheint, dass ich zum Gründen 3*) hinausgehe, und ob es nicht besser sei, wenn ich mich immer dem Beten hingäbe, verstand ich: „Solange man lebt, liegt der Gewinn nicht darin, sich mehr Genuss an mir [Gott] zu verschaffen, sondern meinen [Gottes] Willen zu erfüllen.“
Mir schien dann, dass wohl das der Wille Gottes sei, was der heilige Paulus über die Zurückgezogenheit der Frauen sei (Tit 2,5) – was man mir vor kurzem gesagt hatte und ich auch früher schon gehört hatte. Da sagte er [Gott] mir: „Sag ihnen, dass sie nicht nur auf einem Text der Schrift herumreiten, sondern auch andere anschauen sollen, und ob sie mir [Gott] dann die Hände binden könnten.“ 4*)
Hinweise und Fragen
Terese beschreibt hier eine Art zweistufigen Fortschritt der Legitimation ihrer Tätigkeit.
(1) Den ihr (und ungezählten Frauen zuvor und danach) gemachten Vorwurf, die Regel des „Schweigens des Weibes in der Gemeinde“ durch ihre Kirchenreformbemühungen sträflich zu missachten, kontert sie, indem sie zwei ihrer Visionen (im Text als Gottesrede in Anführungs- und Schlusszeichen) als Antworten Gottes auf diese Frage betrachtet, in der für Terese um den wahren Willen Gottes geht. Im Hintergrund steht dabei eine alte Unterscheidung zwischen ‚uti‘ („gebrauchen“, einer Sache um ihres Nutzens willen anhangen) und ‚frui‘ („genießen“, einer Sache um ihrer selbst willen anhangen), die sich schon bei Augustin (De Trinitate 8 und öfter) findet. Demnach möge sich der Mensch in seiner irdischen Existenz die Dinge gebrauchen und Gott genießen – und nicht umgekehrt, wie das dann in der Ewigkeit möglich sein wird. Zugleich darf über dem Genuss Gottes freilich die Orientierung am Willen Gottes für die eigene Berufung nicht vernachlässigt werden.
(2) Wie nun aber soll dies gelingen, den wahren Willen Got-tes zu erkennen? Entscheidend ist hier (in einer m.E. über-raschend „modernen“ Sichtweise Tereses) eine biblische Her-meneutik: es geht nicht an, eine Bibelstelle als alles ent-scheidenden Schriftbeweis in der Faust zu führen und alle anderen relevanten Bibelstellen darüber in den Schuppen zu legen. Sondern die verschiedenen biblischen Zeugnisse – etwa zum Amt der Frauen in der Kirche – beleuchten und interpretieren sich gegenseitig und müssen insgesamt daraufhin befragt werden, was sie als Willen Gottes erkennen lassen. Und darunter sind im Neuen Testament neben der Polemik über das in der Gemeindeversammlung „schweigende Weib“ (I Kor 14,34) eben auch solche, die erkennen lassen, dass Frauen in paulinischen Gemeinden als Gemeindeleiterinnen (Röm 16,1-2: Phö-be) und in offiziellen Funktionen (Röm 16,3-4: Prisca) tätig waren.
Ebenso nimmt Therese – gegen die große Mehrheitsmeinung nicht nur der damals sich formierenden römisch-katholischen Kirche – für ihren Dienst den von ihr persönlich erkannten Willen Gottes in Anspruch, der sie zur Kirchenreform antreibt. Dass in diesen Klöstern durch die Frauen dann sehr wohl auch der Auftrag zur Zurückgezogenheit zum Gebet einge-löst wird, versteht sich im Übrigen – und auch dafür bietet Terese umfangreiche Anleitungen.
1*) Der gesamte Text in deutscher Fassung findet sich in TERESA VON AVILA, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften, Vollständige Neuübertragung. Gesammelte Werke Band 3, herausgegeben von Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD, Freiburg, Basel, Wien, 2004, S. 194-314.
2*) Geistlicher Erfahrungsbericht Nr. 15 über eine imaginative Vision Christi und eine intellektuelle Vision der Heiligsten Dreifaltigkeit, Niederschrift vom 30. Juni 1571.
3*) Gemeint sind ihre am Ende 17 Reformklostergründungen, von denen Kritiker sagten, sie würden gegen die Klostergründungsregeln des Konzils von Trient verstoßen. Ihre Kirchenreform durch Frauenklostergründungen und dann besonders deren Betreuung durch ihre theologischen Schriften war kirchenpolitisch ein besonders wichtiger Impuls der Therese von Ávila. Letztlich lässt Therese sich hier auf keine theologischen Diskurse ein, sondern etikettiert ihre Gründungen apodiktisch – aber erfolgreich – als „Willen Gottes“.
4*) Bericht Nr. 16 „Tätigkeiten der Frauen in der Kirche“, notiert in Medina del Campo oder Ávila im Juli 1571. Text in: TERESA VON AVILA, Gesammelte Werke Band 3, S. 235.
Teresa von Ávila – Teil 5
Tereses Erfahrungsberichte sind persönliche Zeugnisse. Anders als das heute möglich wäre spricht sie darin von inneren Stimmen, gar Visionen und Ekstasen. Versucht man diese Berichte einzuordnen, könnte es helfen, die gemeinsame Struktur vieler mystische Erfahrungen (hier nach K. Waaijman 1*) zu betrachten. Denn in Tereses Berichten geht es weniger um das außergewöhnlich Spektakuläre, das mit ihrer Person verbunden ist, sondern um eine Grunderfahrung, die von den Menschen, die sie machen, auf Gott hin gedeutet wird. Folgende Aspekte sind dafür typisch, die sich an vielen Texten Tereses belegen lassen:
* die betende Sehnsucht nach Gott ist der als Auslöser
* Gott wird als unmittelbar gegenwärtig erlebt
* die Erfahrung der Gegenwart Gottes führt zur persönlichen Ergriffenheit
* der Mensch hat das Gefühl, aus sich herauszutreten
* der Mensch empfindet eine Art Loslösung von dem, was ihn bisher emotional gefesselt hat
* der Schwerpunkt in der Erfahrung verschiebt sich vom Tun zum Empfangen
* der Mensch hat das Gefühl, in seinem Wollen und Empfinden mit dem Wirken Gottes verbunden zu sein
* der Mensch hat den Eindruck unmittelbar zu erfassen, was Gottes Liebe und Wahrheit ist
* der Mensch erfährt (freilich teilweise deutlich kulturell geprägte) Bilder und Worte, die aus dem Unbewussten aufsteigen
* der Mensch wird sich der Gegenwart Gottes in der eigenen Seele bewusst
* der Mensch weiß sich zu einer Liebesbeziehung zu Gott eingeladen, in der er sich als Partner empfindet
* die innere Ergriffenheit der Person such eine alltägliche Ausdrucksgestalt in der Lebensführung
Viele der Erfahrungen, von denen Terese berichtet, haben einen liturgisch-gottesdienstlichen Rahmen. Nicht so viele Erfahrungen haben einen biblischen Kontext. Neben direkten Schriftzitaten gibt es Anklänge und Gedanken, die sich der kirchlichen Deutung der Bibeltexte verdanken.
Ein andermal sagte mir der Herr [Christus]: „Denkst Du, Tochter, dass der Verdienst 2*) im Genießen liegt? Nein, es liegt im Tun und im Erleiden und im Lieben. Du wirst gehört haben, dass der heilige Paulus mehr als einmal das himmlische Paradies genossen hat, und dass er oftmals gelitten hat; und siehe, [auch] mein [Christi] ganzes Leben ist voll von Leiden, und nur auf dem Berg Tabor hast du von meiner Freude gehört. Denke nicht, wenn du meine Mutter siehst, wie sie mich auf den Armen trägt, dass sie ohne große Qual jene Freuden genoss. Seitdem Simeon ihr jene Worte gesagt hat, gab ihr mein Vater klares Licht, damit sie sähe, was ich zu leiden hätte.
Die großen Heiligen, die in den Wüsten lebten , verrichteten schwere Bußübungen, da sie von Gott geleitet waren, und hatten überdies große Kämpfe mit dem Bösen und mit sich selbst. Lange Zeit verbrachten sie ohne jede geistliche Tröstung.
Glaub mir, Tochter, wen mein Vater mehr liebt, dem gibt er größere Prüfungen , und die Antwort darauf ist die Liebe. Worin kann ich dir mehr zeigen, dass ich für dich möchte, was ich für mich wollte? Schau diese Wundmale! Niemals werden deine Schmerzen so weit gehen. Das ist der Tag der Wahrheit. Wenn du das verstehst, wirst du mir helfen, den Verlust zu beweinen, dem die von der Welt anheimfallen, denn all ihre Wünsche, Sorgen und Gedanken befassen sich damit, wie das Gegenteil zu erreichen ist.“
Als ich damit begann, inneres Beten zu halten, hatte ich so starkes Kopfweh, dass es mir unmöglich schien, es halten zu können. Da sagte mir der Herr: „Von daher wirst du die Belohnung für das Leiden sehen, denn da du nicht bei guter Gesundheit warst, um mit mir zu sprechen habe ich mit dir gesprochen und dich beschenkt.“ Und gewiss, so ist es, denn die Zeit, in der ich gesammelt war, hat eineinhalb Stunden gedauert, vielleicht ein bisschen weniger. Dabei sagte er mir die genannten Worte und alles andere. Ich war dabei nicht zerstreut, noch weiß ich, wo ich war, doch mit einem so großen Glücksgefühl, dass ich es gar nicht sagen kann, und ich hatte kein Kopfweh mehr – was mich verwundert hat –, dafür ein großes Verlangen nach Leiden.
Es ist wahr, das ich zumindest nicht gehört habe, dass der Herr [Christus] in seinem Leben noch eine weitere Freude hatte, außer dieses eine Mal, ebensowenig der heilige Paulus.
Er sagte mir auch, dass ich mir oft die Worte, die der Herr den Aposteln gesagt hatte, in Erinnerung rufen sollte, dass „der Knecht nicht mehr sein solle als der Herr (Evangelium nach Johannes 13,16).
Hinweise und Fragen
Sich im Leiden mit Christus zu vergleichen ist keineswegs vermessen, sofern der Vergleich nicht auf Überbietung zielt. Die Evangelien weisen immer wieder auf die Notwendigkeit unserer Nachfolge Jesu auch im Leiden hin. Christ sein bedeutet nicht von allem Bösen verschont zu bleiben, wohl aber darauf zu vertrauen, dass Gott uns davon erlösen wird und darum im Vaterunser auch zu bitten.
Der Apostel Paulus spitzt das noch einmal zu, wenn er der Gemeinde in Korinth scheibt, dass wir (er meint damit zunächst sich selbst) das Sterben Christi an uns tragen (II Kor 4,10-11) „auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, auf dass auch das Leben Jesu offenbar werde an unserm sterblichen Fleisch“ – ein Zusammenhang, auf den ich theologisch auch gerne auf dem Friedhof angesichts der Gräber hinweise.
1*) Die verschiedenen Aspekte sind zusammengestellt in TERESA VON AVILA, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften, Vollständige Neuübertragung. Gesammelte Werke Band 3, herausgegeben von Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD, Freiburg, Basel, Wien, 2004, S. 185-189.
2*) Gemeint ist nicht das verdienstliche Tun im Sinn einer Werkgerechtigkeit, sondern der „Lohn“ der Erkenntnis, von der etwa auch der Prediger des Alten Testamentes (Koh 1,3 u.ö.) spricht.
3*) Paulus berichtet in II Kor 11,23-28, 12,1-4 von seinen „Himmelsreisen“, zu denen er entrückt worden sei. Er verweist anschließend dann aber immer explizit auch auf seine bleibenden Leiderfahrungen und mahnt den rechten Umgang mit beidem an.
4*) Vgl. Mk 9,2-8parr; I Petr 1,16-18.
5*) Vgl. Lk 2,35a: „auch durch seine Seele wird ein Schmerz dringen“.
6*) Von besonderer Bedeutung war der „Vater der Mönche“ Antonius (251-356), dessen Biographie durch Athanasius auch im Westen des Imperiums weit verbreitet war und der vielfach ikonographisch bearbeitet bzw. künstlerisch dargestellt wurde.
7*) Vgl. Spr 3,11-12: „Mein Sohn, verwirf die Zucht des Herrn nicht und sei nicht unwillig, wenn er dich zurechtweist; denn wen der Herr liebt, den weist er zurecht, und hat doch Wohlgefallen an ihm wie ein Vater am Sohn; Apc 3,19a: „Welche ich liebhabe, die weise ich zurecht und züchtige ich.“
8*) Erfahrungsbericht Nr. 26, Ávila 1572, „Wert des Leidens“; deutscher Text in TERESA VON AVILA, Gesammelte Werke Band 3, S. 243-245.
Teresa von Ávila – Teil 6
Zum Werk von Terese gehören überraschenderweise auch die „Neckereien“ 1*), ironische Texte in der Gattung der „vejamen“ („Quälereien“, „Sticheleien“), die eigentlich anlässlich einer Promotion bzw. der Verleihung der Doktorwürde von zwei Freunden des zu Ehrenden vorgetragen wurden. Der eine Freund sollte die Schwächen des mit der Doktorwürde Ausgezeichneten hervorheben, der andere die Fähigkeiten preisen – in jedem Fall bitte aber kräftig übertreiben! Terese schlüpft nun in die Rolle des Freundes, der die Aufgabe zum Sticheln hat und verzichtet ganz darauf, etwas Nettes zu sagen.
Anlass war eine Vision Tereses, der sie den Satz „Suche dich in mir“ verdankte. Als sie das Erlebnis ihrem Bruder Lorenzo schriftlich mit der Bitte um Rückmeldung schilderte, nahm der seine Aufgabe so ernst, dass er sich Rat beim Bischof holen wollte, der wiederum seinen Beraterkreis damit befasste. Die Ergebnisse der allerhöchsten Konsultationen wurden dann Terese geschickt, die sich darüber amüsierte, so hierarchisch hochstehend geprüft worden zu sein, darauf mit ihrem Vejamen antwortete und die verschiedenen Mitglieder des bischöflichen Beraterstabs durch den Kakao zog. Und sie scheute dabei auch nicht davor zurück, von ihr hoch geachtete Personen auf die Schippe zu nehmen, wie eine kleine Auswahl zeigt:
[Über Johannes vom Kreuz (1542-1591, mystischer Schriftsteller, Kirchenlehrer und zeitweise Tereses Beichtvater)]
Dieser gibt mit seiner Antwort eine ziemlich brauchbare Belehrung für jemanden, der die Exerzitien [des Ignatius von Loyola] machen will, die sie in der Gesellschaft Jesu machen, jedoch nicht für meinen Zweck. Das käme uns teuer zu stehen, wenn wir Gott erst suchen könnten, wenn wir der Welt abgestorben wären! Das war weder Magdalena noch die Samariterin (Joh 4,7-42) noch die kanaanäische Frau (Mt 15,21-28; Mk 7,24-30), als sie zu ihm fanden. Auch spricht er viel davon, in der Gotteinung mit Gott eins zu werden, wenn das aber zustande kommt, und Gott der Seele diese Gnade erweist, wird sie nicht sagen, dass sie ihn sucht, weil sie ihn dann schon gefunden hat.
Gott verschone mich vor Leuten, die so geistlich sind, dass sie aus allem vollkommende Kontemplation machen wollen, komme, was da wolle. Dennoch danken wir ihm, dass er 8uns so gut erläutert hat, was wir gar nicht gefragt hatten. Deshalb ist es immer gut, über Gott zu sprechen, denn aus einer Ecke, aus der wir es nicht erwartet hatten, kommt uns der Gewinn.
[Über den Herrn Lorenzo de Cepeda (1519-1580), Tereses jüngeren Bruder]
So wie das der Fall war bei Herrn Lorenzo de Cepeda, dem wir herzlich für seine Verse und seine Antwort danken. Denn wenn er auch mehr behauptet hat, als er versteht, verzeihen wir ihm wegen der Belustigung, die er uns damit verschafft hat, gern den Mangel an Demut, sich in so erhabene Dinge einzumischen, wie er es in seiner Antwort sagt, und das auch wegen des guten Rates, den er ungefragt gibt, doch Gebet der Ruhe zu halten – wie wenn das in seiner Macht stünde! Er weiß schon, welche Strafe sich einer einhandelt, der das tut.
Gebe Gott, dass von dem Honig, dem er so nahe war, etwas an ihm hängen bleibe, denn das ist mir ein großer Trost, wenn ich auch sehe, wie er recht hatte, sich zu schämen. An dieser Stelle kann es kein Urteil darüber geben, was nun besser sei, denn ohne ungerecht zu sein, haftet allem Fehlerhaftes an.
[Empfehlung an Don Álvaro (1560-1577 Bischof von Sevilla)]
Tragen Euer Hochwohlgeboren ihnen auf, sich zu bessern! Ich werde mich in dem Sinn bessern, dass ich meinem Bruder aus Mangel an Demut nicht ähnlicher werde. Sie sind ja alle so gottselig, diese Herren, dass sie das Spiel verloren haben, weil sie eine Karte zu viel hatten; denn, wie ich schon sagte, wer die Gnade erlangen sollte, die Seele mit ihm geeint zu haben, dem wird er nicht sagen, dass er ihn suchen soll, weil er ihn schon besitzt.
Ich küsse Euer Hochwohlgeboren vielmals die Hände für die Huld, die sie mir mit ihrem Brief erwiesen haben. Um Euer Hochwohlgeboren mit diesem Unsinn nicht noch mehr auf die Nerven zu gehen, schreibe ich jetzt nicht.
Euer Hochwohlgeboren unwürdige Dienerin und Untergebene
Teresa de Jesús.
Hinweise und Fragen
Es ist gar nicht leicht, bei so einem Vorgehen wie dem „vejamen“ die Grenzen dessen einzuhalten, was Anstand und Moral gebieten, zugleich aber spitzzüngig genug Eigenschaften aufzugreifen, die sich der Eitelkeit der Menschen verdanken und auch einmal benannt werden dürfen. Persönliche Beschämung ist zu vermeiden. Vielleicht lässt sich Tereses Vorgehen am ehesten mit dem vergleichen, was im Bayerischen mit dem „Derblecken“ anlässlich des Starkbieranstiches gemeint ist.
1*) Als Textgrundlage dient der dritte Band der Gesammelten Werke von Teresa von Ávila, Gedanken zum Hohenlied, Gedichte und kleinere Schriften. Vollständige Neuübertragung, herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD, Freiburg, Basel, Wien 2004, S. 487-492.
Teresa von Ávila – Teil 7
Tereses Autobiographie („Vida“, verfasst 1560-1565, recht früh abgeschlossen) ist die erste ihrer Art in spanischer Sprache mit literarischem Rang. Freilich hat sie danach in ihrem bewegten Leben noch einige besondere Erlebnisse vor sich: 1571 ernennt man sie gegen ihren und den Willen der Schwestern zur Priorin des Klosters, in das sie ursprünglich eingetreten war. Sie holt sich im nächsten Sommer Verstärkung und bittet Johannes vom Kreuz als Spiritual und Beichtvater zu dienen und die mittlerweile knapp 200 Schwestern im Haus zu begleiten. Sie entwickelt ihr alternatives Konzept dafür: mit Sanftmut, nicht so rigoros wie damals oft üblich. 1575 lernt Teresa den Mann kennen – Jerónimo Gracián (1545–1614), er stammt aus Sevilla, ist 30 Jahre jünger als sie und ebenfalls Mönch – mit dem sie so etwas wie eine Seelenverwandtschaft erlebt. Dann bricht ein Streit zwischen ihren Neugründungen an Klöstern und dem Stammorden auf, der mit der Trennung beider Zweige durch päpstliche Entscheidung im Jahr 1581 endet … Am 4. Oktober 1582 gegen neun Uhr abends stirbt Teresa im damals recht hohen Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung und wird am folgenden Tag beerdigt, der aufgrund der Gregorianischen Kalenderreform mit seiner Streichung von 10 Tagen im zehnten Monat der 15. Oktober ist.
Wir waren alle zum Chorgebet versammelt, da zog sich plötzlich meine Seele ins Innere zurück; sie erschien mir wie ein leuchtender Spiegel, nicht mit Rahmen oder Rückseite, sondern nur Klarheit, und in der Mitte zeigte sich mir Christus, unser Herr, so wie ich ihn immer sehe. Es war mir, als sähe ich ihn deutlich in allen Teilen meiner Seele gespiegelt, und zugleich formte sich dieser Spiegel in einem höchst liebevollen Empfinden zur Gestalt unseres Herrn – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll.
Vida 40,5 1*)
Einmal, als ich im Gebet versenkt war, verstand ich in einem Augenblick – ohne etwas Bestimmtes zu sehen, aber es war eine ganz klare Erkenntnis -, dass man in Gott alle Dinge schaut, weil er alle in sich enthält. Ich könnte die Gottheit mit einem klaren Diamanten vergleichen, viel größer als die ganze Welt. Da er alles umschließt, erblickt man in ihm all unser Tun wie in einem Spiegel.
Vida 40,10 2*)
Hinweise
Das Bild des Blickens in einen Spiegel als Bild für das begrenzte menschliche Erkenntnisvermögen ist alt, schon das tratraditionelle Lied im ersten Korintherbrief des Paulus in Kapitel 13 verwendet es. Auch die antike Philosophie 3*) kann es gebrauchen, etwa der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien (10/15 vor – nach 40 nach Christi Geburt): durch die Bildung schauen wir den Urheber der Wissenschaft wie durch einen Spiegel („Über Flucht und Erfindung“, fug. 213). Aber auch Geistesgrößen wie Plutarch (um 45 – um 125 nach Christus) wissen diese Einsicht zu betonen: die Pythagoreer haben schon in den Zahlen und in geometrischen Figuren das Rätsel der Gottheit erblickt („Moralia“, mor 382a); auch ist der Eros bei Platon nach Plutarch ein „schöner Spiegel schöner Dinge“ (mor. 765b) – freilich darf man nicht diese verehren, sondern durch sie das Göttliche …
In I Kor 13,8-13 besingt der Apostel Paulus die Unvergänglichkeit der Liebe, Dieser Text wird bei vielen Traumhochzeiten bemüht, nicht immer wird dabei bedacht, dass es hier um die Liebe Gottes geht, die alles vermag und unvergänglich ist. In I Kor 13,12 wird herausgestellt, dass jede menschliche Wahrnehmung ihr Grenzen hat. Das Blicken in den Spiegel ist die Form der Wahrnehmung Gottes, die dem Menschen möglich und erlaubt ist.
Im Römerbrief (Röm 1,20) greift Paulus diesen Hinweis dann noch einmal auf: Gott wird jetzt – und auch in unserer Zeit und in unserer Welt – nur in den Geschöpfen ansichtig. In ihnen freilich ist er auch wie in einem Spiegel erkennbar, am besten in seinem Sohn Jesus …
1*) LORENZ, ERIKA: Der nahe Gott. Im Wort der spanischen Mystik, Freiburg, Basel, Wien 1985, S. 141f.
2*) LORENZ, ERIKA: Der nahe Gott. Im Wort der spanischen Mystik, Freiburg, Basel, Wien 1985, S. 141.
3*) ZELLER, DIETER: Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 2010, S. 417.
Teresa von Ávila – Teil 8
Die kritische editorische Arbeit an Tereses Gedichten ist noch nicht abgeschlossen, insofern lässt sich noch nicht abschließend über das ganze Gedichte-Korpus urteilen. Die meisten Werke Tereses, einer versierten Gelegenheitspoetin, lassen sich aber vermutlich trotz ihrer Inspiration durch biblische Texte inhaltlich in die Schublade „Teresianischer Humanismus“ stecken. In ihren Gedichten wirkt sie jedenfalls viel sanfter als in ihrem Bemühen um Klosterreform, wo sie durch auch rigoros erscheint. In der Forschung werden ihre Gedichte oft auf ihr Gottesbild bezogen, in dem sie sich eigenartigerweise mit den Gedanken Martin Luthers und der Reformation berührt: Gottes Liebe muss man nicht ständig verdienen! Sondern vor Gott darf man singen, dichten und tanzen. Stimmt der Eindruck, dass Terese das Dichten im Blick auf diesen Gott leicht fällt? Natürlich will sie mit den Gedichten auch unterweisen, Freude vermitteln, das Leben und den Tod besingen, die Liebe zu Jesus wecken und die Verbindung unter ihren Klöstern stiften und stärken.
Es sind auch einige Weihnachtsgedichte überliefert, die als „villancicos“ bezeichnet werden: Lieder, die man gut auf damals bekannte Volksweisen singen kann. Vermutlich wurden sie auf den Weihnachtsfeiern in den Klöstern zum Besten gegeben. Viele von ihnen beschäftigen sich mit der Menschlichkeit des neugeborenen Gottes in Niedrigkeit. Einige von ihnen haben auch schon seine Passion im Blick:
Vertiende está sangre
¡Dominguillo , eh!
¡Yo no sé por qué!
– ¿Por qué – te pregunto –
hacen de èl justicia,
pues que es inocente,
y no tiene malicia?
Tuvo gran codicia,
yo ne sé por qué,
de mucho amarmè:
¡Dominguillo, eh!
Pues luego, en naciendo,
¿le han de atormentar?
– Si, que está muriendo,
por quivar el mal.
¡Oh qué gran zagal
Será, por mi fe!
¡Dominguillo, eh!
¿Tú no has mirado,
Que es nino inocente?
Ya me lo han contado
Brasillo y Llorente.
– ¡Gran vnconveniente
Será no amarlè!
¡Dominguillo, eh!
Sein Blut es vergießt,
Das Hirtenkind lieb.
Ich weiß nicht warum!
Warum, frag ich dich
fällt‘s unter‘s Gesetz ,
und hat doch kein‘ Schuld,
noch ist an ihm Falsch?
Es spürt große Lust,
– warum, weiß ich nicht –
Mich maßlos zu lieben,
das Hirtenkind lieb.
Kaum ist es geboren,
warum es schon quälen?
– Es stirbt doch gewiss,
zu tilgen die Bosheit.
Sollt‘ es doch einst werden
ein Hirte ganz groß, das Hirtenkind lieb.
Hast du nicht gesehen,
dass schuldlos das Kind ist?
So sagt‘s mir Brasillo,
Llorente dazu.
– Da wär es nicht passend,
ihm Lieb zu versagen,
dem Hirtenkind lieb.
Hinweis
Eines der Interessen Tereses ist es, bei den Adressatinnen ihrer Gedichte die Liebe zum Menschen Jesus zu wecken. Zugleich richten sich ihre Gedichte nicht nur an Ordensangehörige, sondern sie apostrophieren die Menschen allgemein, die allesamt eingeladen sind, in Freundschaft mit Christus zu leben. Die Tatsache, dass in diesen Gedichten auch der Ausblick auf das Leiden Christi nicht fehlt, hebt sie aus zahlreichen Gedichten zu diesem Anlass hervor.
Immer ist für Terese das Gebet das implizite Ziel ihrer Überlegungen und Äußerungen, insofern will sie, was auch heute noch die Aufgabe von Kirche nicht zuletzt am Heiligen Abend ist: die Menschen an die Krippe und zur Anbetung des Kindes in der Krippe zu führen. In Zeiten der Corona-Pandemie bedarf es dafür nicht zuletzt an Weihnachten besonderer Anstrengungen der Kirchen und Gemeinden, den Menschen dies auch unter Bedingungen von sozialer Distanz zu ermöglichen.